Der Scharfrichter Nord und sein Gewerbe                  


Mythos Scharfrichter - kaum ein anderes Berufsbild ist mit so vielen Legenden und Vorurteilen umgeben, wie das des Scharfrichters. Er vollstreckte im Namen Gottes und später im Namen des Volkes das richterliche Urteil. Obwohl er nur die ausführende Hand einer höheren Instanz war, wurde er selbst als unehrlich stigmatisiert, nicht der Richter oder der Rat, der das Urteil gefällt hatte. Wie lebte er, geächtet mitten in der Gemeinde in der er seinen Beruf ausübte? Hat er eine rote Mütze getragen, damit ihn jeder erkennt? Wurde er gemieden, ja sogar gefürchtet? Und wie kommt es, dass gerade die Scharfrichter besonders gute Heiler gewesen sein sollen?

In Michelstadt leben heute noch die Nachfahren einer berühmten Scharfrichterdynastie. Es ist die Familie Nord, die allerorten bekannt und geschätzt ist. Der Stammbaum dieser Familie ist ungewöhnlich gut erschlossen und bis in das Jahr 1673 allein in Michelstadt zurückzuverfolgen.

Seit dieser Zeit hat die Familie im Erbbestand das Scharfrichteramt für die Grafen zu Erbach ausgeübt. Ihren Amtssitz hatten die Scharfrichter in der größten Stadt der Grafschaft, damals wie heute war das Michelstadt. Als Scharfrichter hatten sie neben der Vollstreckung noch viele andere Tätigkeiten auszuführen, eine davon war das Entsorgen des gefallenen Viehs – der Scharfrichter war auch der Wasenmeister, der Abdecker der Schinder. Um diese Arbeit verrichten zu können, benötigt der Wasenmeister eine große Wiese oder Acker, um die Kadaver zu entsorgen. War das der Grund dafür, dass die Wasenmeisterei, das Haus des Scharfrichters, immer schon außerhalb der Stadtmauer lag? Zu Anfang befand sich das Anwesen in unmittelbarer Nähe zur Stadtmauer, in der sogenannten Vorstadt. Im Laufe der Zeit änderte sich der Standort mehrere Male, aber nie befand sich die Wohnstatt der Familie Nord innerhalb der Stadtmauer oder im Stadtzentrum, sondern immer am Rande des Siedlungsgebietes.

Das Handwerk des Scharfrichters erzeugt Unbehagen, aber wer weiß schon genau, was zum Tagwerk tatsächlich alles dazu gehörte? Die Ausübung des Scharfrichterhandwerks bestand in einem ungewöhnlich vielfältigen Tätigkeitsfeld, das vorgestellt werden wird. Die berufliche Vielfalt erforderte eine sehr hohen Qualifikationsgrad, den die Väter den Söhnen, die Schwiegerväter den Schwiegersöhnen vermittelten. Alles Wissen blieb innerhalb der Familie.


Der Beruf des Scharfrichters war ein unehrlicher; die Personen, die mit ihm in Berührung kamen, waren geächtet. Das Leben im Alltag der Scharfrichterfamilien war geprägt von Diskriminierung und Benachteiligungen aller Art -  vor allem waren sie nie Teil der Gemeinschaft, sondern standen immer außerhalb der Gesellschaft. Warum lernten die Söhne der Scharfrichter denn dann nicht einen anderen Beruf und bauten sich ein normales Leben auf?

Diese und andere Fragen werden von mir beantwortet in diesem Vortrag.